Die Geschichte des Islams in Deutschland bis 1960
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen
Lehrstuhl für Islamwissenschaft
Blockseminar:
Der Islam in Deutschland in Geschichte und Gegenwart
Sommersemester 2000
Die Geschichte des Islams in Deutschland bis 1960
INHALTSVERZEICHNIS
Einführung
Der Islam in Deutschland bis 1960
1. Deutscher Islam – Islam in Deutschland
2. Islam in Preußen: Die erste Gemeindegründung
- Türkische Kriegsgefangene im 17. Jahrhundert
- Die Wünsdorfer Moschee
3. Die zweite Gemeindegründung (1922-1945)
4. Muslime im Dritten Reich
5. Die muslimischen Einwanderer nach 1945 – 1960
Literaturverzeichnis
Einführung
Wenn man in der Bundesrepublik Deutschland von der Anwesenheit des Islams spricht, dann sind meistens die Muslime gemeint, die ab den sechziger Jahren aus der „islamischen“ Türkei und Jugoslawien zu Hunderttausenden in die Gebiete am Rhein, Ruhr und Main ankamen, um hier durch den wirtschaftlichen Aufschwung Arbeit und Verdienst für sich und ihre Familien zu finden. Doch die Tatsache ist der, dass die Geschichte des Islams in Deutschland viel älter ist. Sie beginnt etwa vor rund 250 Jahren. Im folgenden soll eine Übersicht über den geschichtlichen Abriss des Islams in Deutschland geboten werden.
1. Deutscher Islam – Islam in Deutschland
Zur Zeit leben in Deutschland etwa 3 Millionen Anhänger der islamischen Religion. Davon sind ungefähr 400.000 Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien (Bosnier bzw. Kosovo-Albaner), ca. 350.000 Araber aus Nordafrika und den Staaten des Mittleren Ostens und ca. 2.1000.000 Türkische Muslime, von denen wiederum ca. 300.000 Alleviten sind. In den letzten Jahren sind ihre religiösen, kulturellen und sozialen Bedürfnisse zu einem Problem in der Gesellschaft geworden, das von Gewerkschaften, Politikern und Kirchen oft sehr stritthaft diskutiert wird. Die Bevölkerung in Deutschland ist sich sehr stark bewusst, dass die muslimischen Immigranten größtenteils gläubige Menschen sind (74 % von den Muslimen bezeichnen sich als „gläubige Muslime“[1]), die großen Wert darauf legen, auch in einer von der christlichen Kultur geprägten Umwelt ihren Glauben zu praktizieren.
Es werden neuerdings viele Debatten im Bundestag abgehalten, um muslimische Arbeiter und ihre Familien in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, jedoch wird allzu oft vergessen, dass die Geschichte des Islams in Deutschland nicht erst ab den 60 er Jahren begonnen hat, sondern wesentlich älter ist. Dieses Faktum ist vielen unbequem – auch den Kirchen.[2] Trotzdem kann man die Geschichte des Islams in Deutschland bis in die Regierungszeit des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm I. zurückverfolgen.
Jedoch muss man die Geschichte des Islams in Deutschland von der Geschichte der deutsch-islamischen Begegnungen unterscheiden. Die Begegnungen reichen zurück auf das Jahr 777, „als Karl der Große auf dem Reichstag zu Paderborn den von Emir von Cordoba vertriebenen Statthalter von Saragossa, Sulaiman al-´Arabi empfängt und mit ihm ein Beistandspakt abschließt. Vierzehn Jahre später kommt es dann zu den legendären Beziehungen zwischen dem Frankenkaiser und dem ’Abbasidenkalifen Harun al-Rashid zu Bagdad, dem ´Herrscher aus Tausend und eine Nacht.“[3]
Die eigentliche Geschichte des Islams in Deutschland beginnt rund vor 250 Jahren, als der Herzog von Kurland im Jahre 1731 dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. (1713-1740) zwanzig türkische Muslime als „lange Kerls“ für dessen Elite-Garde zur Verfügung stellte. Im Jahre 1732 ließ der König in Potsdam für sie einen Saal in der Nähe der neuen Soldatenkirche (Garnisonskirche) am Langen Stall als Moschee herrichten. Er legte großen Wert darauf, dass „seine Mohammedaner“ ihren Religiösen Pflichten nachgingen.[4]
Friedrich Wilhelm I. hatte bereits im Jahre 1724 seinen Stallmeister Johannes Jurgutschky an den Hof Sultan Ahmeds III. (1703-1730) entsandt, mit der Bitte ihn einige wertvolle Pferde zu verkaufen. Der Sultan nahm die Bitte gerne entgegen und schenkte dem Preußenkönig obendrein eines der schönsten und edelsten Pferde aus seinem persönlichen Besitz. Wie es heißt, haben die türkischen Pferde seinerzeit bei der Berliner Bevölkerung „Aufstehen und Bewunderung“ hervorgerufen.[5]
Die Geschichte, die durch königliches Dekret im Jahre 1731 in Potsdam gegründeten Gemeinschaft ist Teil der preußisch-deutschen Geschichte, denn sie durchlief viele Stationen bis hin zum Tode von Reichspräsident Paul von Hindenburg im Jahre 1934.
In den Feldzügen Friedrich des Großen und in der Schlacht von Preußisch-Eylau am 7. und 8. Februar 1807 gegen Napoleons Armee nahmen die preußisch-deutschen Muslime, die zum Teil Kaufleute, Diplomaten, Forscher, Entdecker und Schriftsteller waren, als Soldaten teil. Sie waren ausgerüstet mit königlichen Privilegien und standen stets im Dienste ihrer deutschen Heimat als auch ihrer Religion Islam. Sie verstanden sich dabei immer und stets auch als „Brücke zwischen Okzident und Orient.“
Diese Tradition lebt weiter und sie hat die Nachkriegszeit unbeschadet überstanden. In der reformierten Gemeindeverfassung des Islamischen Weltkongresses Deutschland vom 2. Februar 1985 bzw. 14.Juni 1992 heißt es:
„Der Verein Islamischer Weltkongress Deutschland ist Rechtsnachfolger des am 31. Oktober 1932 gegründeten und am 31. Mai 1933 in das Vereinsregister beim Amtsgericht Berlin-Lichterfelde eingetragenen Vereins Islamischer Weltkongress/ Zweigstelle Berlin, der damaligen Spitzenorganisation für alle im Deutschen Reich lebenden Anhänger der islamischen Glaubensgemeinschaft. Damit bekennt sich der Verein Islamischer Weltkongress Deutschland zur Geschichte, den Traditionen und zum Brauchtum der 1731 durch königliches Dekret zu Potsdam erfolgten ersten islamischen Gemeindegründung auf deutschem Boden, als deren Erbe und Wahrer sich der Verein betrachtet.
Der Verein islamischer Weltkongress Deutschland fühlt sich der Geschichte des Islams in Deutschland verpflichtet und betrachtet sich als Brücke zwischen Deutschland und der islamischen Welt.“[6]
Der Weg der preußischen und später deutschen islamischen Religionsgemeinschaft ist in den Akten des im Jahre 1927 zu Berlin gegründeten Zentralinstitut Islam-Archiv- Deutschland in vier Stationen gegliedert worden: 1. bis 4. Gemeindegründung - von 1731 bis exakt 29. August 1985 - Diese Stationen bis 1960 sollen nun aufgeführt werden.
2. Islam in Preußen: Die erste Gemeindegründung
Die islamische Gemeinde im Königreich Preußen hatte den Rechtsstatus „die islamische Religion und ihre Ausübung schützen und die den moslemischen Untertanen angestammte Lebensform sichern“ mit den Worten des Königs zugesagt bekommen.
Im Jahre 1740 kam an den neuen Thronfolger Friedrich II. - später „der Große“ genannt – eine Anfrage, ob in der evangelischen Stadt Frankfurt/ Oder ein Katholik das Bürgerrecht erwerben dürfe. Der König schrieb an den Rand der Eingabe: „Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die sich zu ihnen bekennen, ehrliche Leute sind. Und wenn die Türken (...) kämen und wollten hier im Lande wohnen, dann würden wir ihnen Moscheen (...) bauen.“[7]
Der König nahm diplomatische Beziehungen mit Sultan Muhammed II. (1730-1754) auf. Er wollte ein Handelsvertrag zwischen Preußen und der Hohen Pforte abschließen, doch dieser Vertrag kam allerdings erst neunzehn Jahre später im Jahre 1761 zustande. Friedrich der Große war es auch, der geschlossene muslimische Truppenteile in der preußischen Armee aufstellte:
Ø 1745, während des Zweiten Schlesien Krieges (1744-1745), stieß eine Einheit muslimischer Reiter zur preußischen Armee. Der feindnachbarliche Kurfürst von Sachsen, seinerzeit auch König von Polen, wollte sich der Furcht bei der Bevölkerung gegenüber den Tataren („ Tatarenschreck“) erneut bedienen. Er ließ unter den in Ostpolen siedelnden Tataren eine Reiterarmee ausheben, die brandschatzend in Preußen einfallen sollte.[8]
Doch es kam anders, denn der sächsische Kammerherr, der den Auftrag die Löhnung für die tatarischen Reiter nach Polen zu bringen hatte, verlor das ganze Geld an den Spieltischen von Warschau. Und ohne Geld kamen auch keine Tataren.
Ø Das Jahr 1760 spielt für die Geschichte des Islams in Deutschland eine wichtige Rolle. Denn es gab ein folgenreiches Ereignis. In der zaristischen Armee verbreitete sich das Gerücht, der Sultankalif plane aus Freundschaft zu Preußen den „Heiligen Krieg“ gegen Russland aufzurufen.[9] Die Folge war, dass zahlreiche muslimische Soldaten von der russischen Armee zu den Preußen überliefen. Von diesen Überläufern wurde im Jahre 1762 ein selbständiges „Bosniakenkorps“ zu 10 Eskadronen (1000 Mann) errichtet. Zum ersten Mal erscheint der Name eines preußischen Heeres Imam in den Matrikeln dieser Truppe auf: Es handelt sich um einen Leutnant Osman, Prediger der „preußischen Mohammedaner“. Das preußische Bosniakenkorps galt im übrigen innerhalb der Reiterei Friedrichs des Grossen als Mustertruppe.[10]
Ø Die muslimischen Reiter nahmen an vielen Gefechten teil, so auch am 16. August 1762 bei Reichenborn. Da sich die Truppen hier tapfer geschlagen hatten, ordnete der König bei der Reduktion von 1763 an, dass ein Stamm beibehalten wurde. In den Urkunden heißt es, die muslimischen Reiter fanden nach der Wiederherstellung des Regiment bei der Revue 1772 „den vollen Beifall des Königs.“[11]
Ø Am 23. August 1795 wurde den Tataren Neu-Ostpreußens vom König nicht nur freie Religionsausübung und freien Wohnbezirk, sondern auch ein Korps Leichte Reiterei gewährt. In einer weiteren Urkunde heißt es dazu: „Als Dissidenten in der polnischen Adelsrepublik nur eben geduldet, dienten die Anhänger es Propheten auch in der Katastrophe von 1806/1807 mit Hingabe einem König, der jede Religion anerkannte und auch schützte.“[12]
Ø Als es in den auf den Siebenjährigen Krieg (1756-1763) folgenden Friedensjahren nicht gelang, für die stark verringerten Reihen der muslimischen Truppenteile geeigneten Nachwuchs zu finden, ließ König Friedrich Wilhelm III. am 14 Oktober 1799 die acht Schwadronen der Korps mit polnischen Edelleuten auffüllen und formierte sie zu einem lanzentragenden Regiment, den „Towarcy“. Aus diesen „Towarcy“ bildete sich später die preußischen Ulanregimenter hervor. Das Wort „Ulan“ leitet sich von „Oghlan“, den „Oghlanis“ ab. Das Wort aus dem Tatarischen bedeutet soviel wie „Edelknabe“.[13] Insgesamt dienten in der damaligen preußischen Armee etwa 1000 muslimische Reiter.
Ø Im Februar 1807 erlitt bei Preußisch-Eylau Napoleon die einzige Niederlage im preußisch-französischen Krieg. Gegenüber ihm standen auch die muslimischen Einheiten. Die Tapferkeit der Truppe war nach den vorliegenden Berichten aus jener Zeit motiviert, weil sie „ihrem König für die Sicherung ihrer angestammten Lebensformen und die ihnen gewährte Religions- und Glaubensfreiheit danken wollten.“[14]
Ø Das muslimische Regiment wurde 1808 geteilt und damit endet auch die Geschichte der muslimischen Truppen der preußischen Armee, obwohl die Tradition der „Bosniaken“ und „Towarczy“ bis zum Jahre 1919 andauerte.
Ø Das erste Grundstück in Deutschland, dass den Muslimen gehörte, war ein Friedhof.
Der Türkische Gesandte und Botschafter am Berliner Hof Ali Aziz Efendi starb am 29.Oktober 1798. Daraufhin erwarb König Friedrich Wilhelm III. vom Grafen Podewils ein Gelände in der Hasenheide (heute Columbiadamm, Blücherstraße), das als Gräberfeld dienen sollte. Eigentümer dieses Friedhofes war von Anfang an das Osmanische Reich.[15]. Später wurde Das „Türkische Friedhof“ wegen Platzmangel geschlossen und gegenüber dem „Dennewitz-Friedhof“ verlegt. In der Mitte des Gräberfeldes befindet sich eine historische Türbe- eine acht Meter hohe halbmondgekrönte Gedenksäule, das vom Sultankalifen Abdul Hamid Khan II. geschenkt wurde.
2.1. Türkische Kriegsgefangene im 17 Jahrhundert
Vor dieser ersten Gemeindegründung in Deutschland, sollte man aber das Schicksal der türkischen Kriegsgefangenen aus den Türkenkriegen (1686-1698) nicht vergessen. Ihre Zahl soll in die Tausende gegangen sein. Wissen über sie ist kaum oder nur gering vorhanden. Der Orientalist Professor Otto Spies schrieb 1968 in seinem Aufsatz „Schicksale türkischer Kriegsgefangener in Deutschland nach den Türkenkriegen“ folgendes: „Nachdem solche Türken den christlichen Glauben angenommen hatten, sind sie in Deutschland sesshaft geworden; sie haben sich mit der deutschen Bevölkerung vermischt und geheiratet und sind im deutschen Volkstum aufgegangen. Bei vielen ist das nicht mehr festzustellen, da sie meist bei der Taufe einen anderen Namen angenommen haben.“[16]
Die getauften Türken sollen sich vor allem hier in Franken, Bayern, Sachsen und Niederdeutschland niedergelassen haben.
Ein Türke namens Jusuf wurde evangelischer Pfarrer in Rüdisbronn in Mittelfranken, ein anderer in Heiligenkirchen bei Detmold. Eine andere Türkin heirate einen Pfarrer.
Dennoch schreibt Spies in seiner Schrift „Eine Liste türkischer Kriegsgefangener in Deutschland aus dem Jahre 1700“ dass die meisten türkischen Kriegsgefangenen ihrem islamischen Glauben treu geblieben und in ihre Heimatlände zurückgekehrt sind. [17]
Ein weiteres Einzelschicksal soll hier noch erwähnt werden. Im Jahre 1760 schrieb ein Pastor Matthias Jemin, er sei verheiratet gewesen sein mit Johanne Amalie, verwitwete Rickmeyer, geborene Sternberg, „des getauften Türken Hassan Tochter“:
„Mein Großvater mütterlicherseits war ein türkischer Pascha aus Konstantinopel, hieß Hassan Pascha. Er wurde im 17 Jahrhundert vor Belgrad von einem lippischen General und Grafen gefangen du mit nach Detmold genommen. Meine Großmutter, Khadyra, war aus Neuhäusel. Ihr Vater, Schiffskapitän, fuhr früher nach Jerusalem. Bei der Eroberung von Neuhäusel, im Jahre 1685, hat sie einen Schuss durch die Knie bekommen und sind ihr die Ohrringe ausgerissen worden, wie noch zu sehen war. Nach ihrer Aussage damals 15 Jahre alt, ist sie ebenfalls nach Detmold gebracht worden, wo beide auf dem Schlosse in der christlichen Religion erzogen und verheiratet wurden. Mein Großvater bekam den Nachnamen Sternberg, die Großmutter wurde Johanne Amelie genannt. Jener war Kapitänleutnant, ist früh gestorben. Erst auf dem Totenbette hat er den Herrschaften seine Herkunft gemeldet.“[18]
M.S. Abdullah sagt dazu, dass aus dieser Ehe fünf Kinder entstammten, von denen eines, eine Tochter, in der Familie des Vaters Schriftstellerin Dr. Sigrid Hunke einheiratete, der Verfasserin von „Allahs Sonne über dem Abendland“ und „Kamele auf dem Kaisermantel“[19].
Eines soll noch hinzugefügt werden. Die sogenannte „Rote Moschee“ im Schlosspark zu Schwetzingen war von 1780 bis 1785 im Auftrage des pfälzischen Kurfürsten Carl-Theodor als Mittelpunkt eines „Türkischen Gartens“ erbaut worden. Sie wurde nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 von kriegsgefangenen Zuaven und Turkos, die in einem Lazarett in Schewetzingen gesundgepflegt wurden, dankbar als Gebetsstätte angenommen.[20] Dieses Gebäude dient heute gelegentlich den im Ludwigshafen – Mannheim – Heidelberg lebenden Moslems als Gebetsstätte.
2.2 Die Wünsdorfer Moschee (1914-1924)
Am 8. November 1898 erklärte Kaiser Wilhelm II. gegenüber dem Sultankalifen in Damaskus: „Möge seine Majestät der Sultan und die 300 Millionen Mohammedaner, welche auf der Erde verstreut leben und in ihm ihren Kalifen verehren, dessen versichert sein, dass zu allen Zeiten der Deutesche Kaiser ihr Freund sein wird.“[21]
Im Jahre 1914 löste schließlich der Kaiser sein Versprechen ein, und ließ für die „mohammedanischen Gefangenen“ in Wünsdorf eine Moschee mit 23 Meter hohen Minarett bauen.
Im Juni 1915 wurde sie von dem damaligen kaiserlich türkischen Botschafter am Berliner Hofe, Ibrahim Hakki Pascha, vormals Großwesir der Hohen Pforte, eingeweiht.
Die Zahl der Gefangenen muslimischen Soldaten von 1914 bis 1918 belief sich auf rund 15 000 Mann.
Für die in der Gefangenschaft verstorbenen Muslime in Zehrendorf, eine Wegstunde von Zossen entfernt, ein Soldatenfriedhof angelegt, auf dem sich das einzige Mohammeddenkmal der Welt befand.[22]
Nach dem Ersten Weltkrieg diente die Wünsdorfer Moschee den Berliner Moslems als erste Gebetsstätte. Damals lebten in Berlin Angehörige des Islams aus 41 Nationen. 1922 hatten sie sich zur „islamischen Gemeinde Berlin“ zusammengeschlossen.[23]
Das Gefangenlager wurde 1922 aufgelöst und im Jahre 1924 musste schließlich auch die aus Holz gebaute Wünsdorfer Moschee wegen Einsturzgefahr geschlossen werden. 1925/26 wurde sie abgebrochen.
3. Die zweite Gemeindegründung (1922-1945)
In Deutschland kann man von organisierten islamischen Gemeindeleben vom Jahre 1922 an sprechen, denn der aus Lahore (Pakistan) stammenden Imam Maulana Sadr-ud-Din hat in Berlin-Charlottenburg eine deutsche Muslimgemeinde gegründet. Ebenfalls diese Gemeinde konnte zwei Jahre später in Berlin-Wilmersdorf eine Moschee eröffnen. Diese Moschee war im Mittelpunkt des islamischen Lebens in Deutschland und auch für die in den Balkanstaaten lebenden Muslime bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1945.[24] Die Moschee, die vom Berliner Architekten Herrmann erbaut wurde, ähnelt dem „Tadsch Mahal“ bei Agra. Es handelt sich dabei um einen Kuppelbau von 26 Metern Höhe, flankiert von zwei 32 Meter hohen Minaretten. Moschee und Gemeindezentrum sind von einer Gartenanlage umgeben.[25]
Im Jahre 1930 änderte die Gemeinde seinen Namen nach „Deutsch-Moslemische Gesellschaft e.V.“ um, und gab damit die Möglichkeit, dass auch Christen Mitglieder sein konnten, was für die damalige Zeit sehr außergewöhnlich war.
Das heute in Soest sesshafte Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland wurde ebenfalls in Berlin im Jahre 1927 gegründet. 1942 wurde sie im Vereinsregister eingetragen. Sie ist nach wie vor die einzige unabhängige islamische Einrichtung in Deutschland.
Außerdem entstanden zwei weitere Institutionen in Berlin, die heute noch weiterbestehen. Die erste wurde von 60 muslimischen Flüchtlingen aus der ehemaligen Sowjetunion gemeinsam mit deutschen Muslimen, eine deutsche Sektion des Islamischen Weltkongresses, am 31. Oktober 1932 gegründet. Alle muslimischen Vereinigungen im damaligen Deutschen Reich haben sich am 27. Mai 1933 unter deren Dach vereint. Auch jene deutsche Sektion des Islamischen Weltkongresses war es, dass die erste islamische Bildungseinrichtung „Islam-Kolloquium“ auf deutschem Boden errichtet hatte. Diese Bildungseinrichtung erteilte den muslimischen Kindern erstmals Religionsunterricht. Das Islam-Kolloquium ist heute Teil des Zentralinstituts Islam-Archiv-Deutschland.[26]
Ungefähr 300 Deutsche bekannten sich in jenen Jahren zum Islam. Die Gesamtzahl der Muslime betrug ca. 1000. In der preußischen Armee gab es zum Vergleich bis zu 1500 Soldaten islamischen Glaubens.
Viele deutsche Muslime sind im Zweiten Weltkrieg gefallen, andere blieben verschollen. Viele der Überlebenden wanderten ins islamische Ausland ab, andere resignierten und zogen sich aus dem bekennenden Gemeindeleben zurück. Vorsichtige Erhebungen um das Jahr 1947/48 sprechen von rund 150 deutschen Islamanhängern.[27]
4. Muslime im Dritten Reich
Nachdem im Hauptarchiv der Zentralinstitution in Soest in den letzten Tagen die Urkundenlücken für die Jahre 1933 bis 1945 geschlossen werden konnten, kann man nach Sichtung von etwa 3000 Dokumenten folgende Aussagen treffen[28]:
Ø Im Deutschen Reich lebten seinerzeit rund 3000 Muslime; davon waren etwa 260 bis 300 deutschstämmig
Ø Die größte islamische Vereinigung war seinerzeit mit 167 Mitgliedern die „islamische Gemeinde zu Berlin“, gefolgt von der „Deutsch-Muslimischen Gesellschaft“ mit 48 Mitgliedern und vom „Islamischen Weltkongress“ mit 39 Mitgliedern.
Ø An Gemeinschaften bestanden damals die „Islamische Gemeinde zu Berlin“, der „Islamische Weltkongress“, die „Deutsch-Muslimische Gesellschaft“, die „Sufi-Bewegung“, der „Verein für islamische Gottesverehrung“, die „Ahmadiyya-Mission“ (Qadiani), eine Reihe von Studentengemeinschaften, muslimischer Landsmannschaften aus Osteuropa und Zentralasien sowie einige arabische politische Parteien wie etwa die „Ägyptische Nationalpartei“.
Ø Die ab 1941/42 in der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS dienenden muslimischen Soldaten aus Südosteuropa, Osteuropa und Zentralasien hatten sich deshalb anwerben lassen, weil ihnen versprochen worden war, sie würden zur Befreiung ihrer unterjochten Heimatländer eingesetzt;
Ø Die Mehrheit der deutschstämmigen Muslime hat sich mit der Ideologie der NSDAP nie anzufreunden vermocht. Die deutschstämmigen Muslime wurden ständig von der Gestapo überprüft und beobachtet;
Ø Eigentliche Opfer der Rassenideologie waren die sich zum Islam bekennenden „Weißen Zigeuner“ aus Bosnien. Sie teilten größtenteils das Schicksal der Juden.
Ein Beispiel für die Lage, in der sich die deutschstämmigen Muslime im Dritten Reich befanden, vermag ein Brief der Reichsleitung der NSDAP vom 13. April 1937 an den Polizeipräsidenten in Berlin zu vermitteln. Dort heißt es:[29]
“In der oben bezeichneten Angelegenheit teilen wir ihnen mit, dass sich die Gesellschaft (Deutsch-Muslimische Gesellschaft, d. Red.) aus Angehörigen der verschiedensten Rassen und Völker zusammensetzt. Die Zusammenkünfte finden meist in zwangloser Form statt. Besucher sollen vor allem Professoren, ehemalige Offiziere usw. sein. Bei diesen Zusammenkünften sollen, sofern die Teilnehmer glauben unter sich zu sein, abfällige Bemerkungen über den Nationalsozialismus und seine Führer gemacht werden. Es handelt sich bei der Gesellschaft mehr oder
weniger um einen Unterschlupf für reaktionäre Elemente.
Im übrigen gehören mehrere Juden zur Gesellschaft. Die Gesellschaft war insbesondere in den Jahren 1933/34 Unterschlupf und Absteigequartier für Kurfürstendammjuden. Gegen das Weiterbestehen der oben bezeichneten Gesellschaft bestehen demzufolge hier erhebliche Bedenken, sowohl in formaler als auch in weltanschaulich-politischer Hinsicht. Die uns übersandten Unterlagen - 1 Band Akten Nr. 8769 sowie die Satzungen- erhalten Sie anliegend wieder zurück. Heil Hitler! I.V. Schäfer”.
Die Geschichte des Islam im Dritten Reich offenbart, dass die damals hier lebenden Anhänger des Islam das Schicksal der einheimischen Bevölkerung voll geteilt haben. Das Spektrum reicht von bedingungsloser der NS-Politik, von Mitläufern bis zum passiven Widerstand, von Ablehnung bis Anbiederung. Bliebe letztlich noch zu erwähnen, dass die mit großen Versprechungen angeworbenen Soldaten islamischen Glaubens einen hohen Blutzoll entrichtet haben, zumal die Mehrheit von ihnen nach der Kapitulation 1945 von den Briten an die Sowjets ausgeliefert und damit in den sicheren Tod getrieben worden waren.[30]
5. Die muslimischen Einwanderer nach 1945 – 1960
Nach Ursula Spuler-Stegermann, Verfasserin des Buches: „Muslime in Deutschland -Nebeneinander oder Miteinander“, fängt die Geschichte des Islams in Deutschland jedoch erst mit den Gastarbeitern an, die seit den sechziger Jahren in die Bundesrepublik geholt worden waren: „Sie kamen nicht nur aus den südeuropäischen, sondern zunehmend auch aus muslimischen Ländern, vor allem aus der Türkei, aber auch aus Marokko und Tunesien (1955 wurde das erste Anwerberabkommen mit Italien getroffen, 1960 mit Spanien und Griechenland, 1961 mit der Türkei, 1963 mit Marokko, 1964 mit Portugal, 1965 mit Tunesien und 1968 mit Jugoslawien).“[31]
Für ihr ist es doch etwas übertrieben, dass die Geschichte des Islams in Deutschland vor 250 Jahren begonnen hat, denn sie meint: „Was die Deutschen damals und darüber hinaus mit den Türken verband, war überwiegend Kriegsgeschichte: Türken kannte man als Soldaten oder als Kriegsgefangene.“[32]
Man weiß sehr wenig von den Muslimen, die nach 1945 als „Strandgut des Krieges“ überwiegend in Süddeutschland hängengeblieben sind: Sie waren muslimische Minderheitsgruppen aus der ehemaligen Sowjetunion, Aserbaidschaner, Krim- und Wolgataren, Nordkaukasier, Baschkiren, Turkestaner und Usbeken; dazu Jugoslawen und Albaner. Viele von ihnen leben mit ihren Familien noch heute unter uns.
Diese ehemaligen Flüchtlinge verfügen über die am besten organisierte muslimische Gemeinschaft in der Bundesrepublik. Damals wurden sie von der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung unterstützt, heute jedoch werden einzelne Nationalitätsgruppen von der „Geistlichen Verwaltung der Muslimflüchtlinge in der Bundesrepublik“ mit Sitz in München betreut.
Einer von den zwei Imams der „Geistlichen Verwaltung“ ist Cemaleddin Ibrahimovic, der in Nürnberg sein Sitz hat. Er macht Kranken- und Gefangenenbesuche, hilft die in Not geratenen Familien und sorgt dafür, dass die Verstorbenen fernab ihrer angestammten Heimat nach ihrem Ritus bestattet werden. Außerdem betreut er die muslimischen Flüchtlinge und Asylbewerber im Lager Zirndorf bei Nürnberg. Nach den vordringlichen Anliegen seiner Gemeinschaft befragt, sagte Ibrahimovic: „Unsere Zukunft hängt von der Anerkennung der islamischen Religionsgemeinschaft durch den deutschen Staat ab, sie ist für uns lebenswichtig. Das Schicksal der muslimischen Minderheit in diesem Lande liegt praktisch in den Händen der deutschen Behörden. Dabei muss bedacht werden, dass ein großer Teil der muslimischen Flüchtlinge bereits heute voll in die deutsche Gesellschaft integriert ist. Das lässt sich dadurch belegen, dass etwa 99 % der männlichen Mitglieder der von der Geistlichen Verwaltung betreuten islamischen Gemeinden mit deutschen Frauen verheiratet sind.“[33]
Die muslimische Emigrationswelle erreichte im Mai 1945 das damalige Reichsgebiet. Sie waren hauptsächlich aus Kaukasus geflüchtet und hatten sich den deutschen Truppen angeschlossen, um nicht den Sowjets in die Hände zu fallen. Die religiösen Gruppierungen hatten sich bereits 1945/46 in den Auffanglagern gebildet. Doch sie lösten sich ganz schnell wieder auf, weil die wirtschaftlichen Grundlagen fehlten.
Im Jahre 1957 einigten sich die Leiter der nationalen muslimischen Volksgruppen in der Bundesrepublik auf eine gemeinsame Konstitution. Die Bundesregierung erklärte sich bereit, die Bestrebungen der Muslime zu unterstützen unter der Voraussetzung, dass an der Spitze ihrer Gemeinschaft ein ausgebildeter Theologe stehe, dass die Gemeinschaft sich politischer Aktivitäten enthalte und dass sie die Seelsorge für die muslimischen Flüchtlinge übernehme. Der Verpflichtungskatalog nennt außerdem Tätigkeiten wie die Erteilung eines islamischen Religionsunterrichts an Flüchtlingskinder, Durchführung der Freitags- und Festtagsgebete in dafür geeigneten Räumen, die Vornahme von Trauungen, der Beschneidung und die Bestattung der Toten nach religiösem Brauch.[34]
Natürlich geht die Geschichte des Islams bis zu unserer Gegenwart weiter, da jedoch mein Thema bis zum Jahre 1960 lautet, möchte ich meine Arbeit hiermit abschließen.
Ich hoffe, dass ich eine Übersicht über die islamische Geschichte bis zum Jahre 1960 geben konnte.
LITERATURVERZEICHNIS
- Abdullah, M.S.: Geschichte des Islams in Deutschland (Islam und westliche Welt Band 5), Verlag Styira, Graz/Köln, 1981
- Abdullah, M.S.: Was will der Islam in Deutschland?, Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Gütersloh, 1993
- U. Spuler-Stergermann: Muslime in Deutschland – Nebeneinander oder Miteinander?, Herder Verlag, Freiburg, 1998
[1] vgl. Zentrum für Türkei-Studien (Essen): ´Deutsche` Türken wollen starke Lobby, in: Soester Anzeiger, 13. Nov. 1992, aus dem Islam-Archiv (Soest) Muslime in Deutschland, in: Moslemische Revue, Heft 4/1995, S.218-222;
[2] Abdullah, Muhammed S.: Was will der Islam in Deutschland?, S. 9, Gütersloher Verlags-Haus Mohn, 1993
[3] Abdullah, M.S.: Geschichte des Islams in Deutschland, S. 13
[4] vgl. Abdullah, Muhammed S.: Was will der Islam in Deutschland?, S. 9
[5] vgl. Abdullah, M.S.: Geschichte des Islams in Deutschland, S. 13
[6] Abdullah, Muhammed S.: Was will der Islam in Deutschland?, S. 10
[7] Abdullah, Muhammed S.: Was will der Islam in Deutschland?, S. 11
[8] ebd. S. 11
[9] Abdullah, Muhammed S.: Was will der Islam in Deutschland?, S. 11
[10] Abdullah, M.S.: Geschichte des Islams in Deutschland, S. 16
[11] vgl. Abdullah, Muhammed S.: Was will der Islam in Deutschland?, S. 12
[12] vgl. ebd. S.12
[13] vgl. Abdullah, M.S.: Geschichte des Islams in Deutschland, S. 16
[14] Abdullah, Muhammed S.: Was will der Islam in Deutschland?, S. 12
[15] vgl. Abdullah, Muhammed S.: Was will der Islam in Deutschland?, S. 13
[16] Abdullah, M.S.: Geschichte des Islams in Deutschland, S. 18
[17] vgl. ebd. S. 19
[18] Abdullah, M.S.: Geschichte des Islams in Deutschland, S. 20
[19] vgl. Abdullah, M.S.: Geschichte des Islams in Deutschland, S.21
[20] vgl. ebd. S.21
[21] Abdullah, Muhammed S.: Was will der Islam in Deutschland?, S. 14
[22] vgl. Abdullah, Muhammed S.: Was will der Islam in Deutschland?, S. 14
[23] vgl. ebd. S.14
[24] vgl. ebd. S.15
[25] Abdullah, M.S.: Geschichte des Islams in Deutschland, S. 28
[26] vgl. Abdullah, Muhammed S.: Was will der Islam in Deutschland?, S. 15
[27] vgl. ebd. S.16
[28] vgl. DUNIA- Islamische Hochschulzeitschrift, Ausgabe 2, Sommersemester 1999, S.13
[29] vgl. ebd. S.13
[30] vgl. DUNIA- Islamische Hochschulzeitschrift, Ausgabe 2, Sommersemester 1999, S.14
[31] U. Spuler-Stegermann, Muslime in Deutschland-Nebeneinander oder Miteinander, Verlag Herder, 1998, S.36
[32] ebd. S. 33
[33] Abdullah, M.S.: Geschichte des Islams in Deutschland, S. 39
[34] Abdullah, M.S.: Geschichte des Islams in Deutschland, S. 39